Hans Kummrow im Alter von 93 Jahren gestorben

Hans Kummrow 2016 im Kreis seiner Kinder Petra (rechts) und Joachim.

Hans Joachim Helmut Kummrow, geb. am 14. Februrar 1931 in Zwilipp (Kreis Kolberg-Körlin, Pommern), ist am 7. Oktober 2024 im Alter von 93 Jahren in seinem Zuhause in Borgholzhausen (Westfalen) gestorben. Hans Kummrow war seit 16 Jahren Witwer und hinterlässt seine Kinder Petra und Joachim sowie sechs Enkel und sechs Urenkel. Hans Kummrow sackte nach Frühstück und Morgentoilette tot vom Duschhocker. Er war als jüngster Sohn von Paul und Bertha Kummrow (geb. Behling) der letzte seiner Generation. Begleitet von seiner großen Familie wurde er auf dem Friedhof seiner neuen Heimat Borgholzhausen, mitten im Teutoburger Wald, zur letzten Ruhe gebettet.

Das Leben und Wirken von Hans Kummrow beschreibt seine Trauerrede, geschrieben von seinem Sohn Joachim Kummrow:

Hans Kummrow ist tot. Er starb am Montag, 7. Oktober 2024 im gesegneten Alter von 93 1/2 Jahren. Und zwar so, wie er sich das immer gewünscht hatte: Nicht lange siechend, sondern überraschend. Nicht allein, sondern an der Hand seiner Begleiterin. Nicht im Krankenhaus oder Pflegeheim,sondern in seinem geliebten Zuhause in Holtfeld. Mit seinem Tod schließt sich ein ungewöhnlich langer Lebenskreis. Wir dürfen festhalten, dass er ein wenig stolz darauf war, der „erste Kummrow, der je so alt geworden ist“ zu sein. Aber wir wissen auch, dass er gehen wollte. Was ihm jedoch nicht leichtfiel, da er bis zuletzt in ungewöhnlich guter körperlicher Verfassung war. Nur mit seinem Gehirn war seit dem Sommer 2016 nicht mehr viel los, nachdem er zwei Schlaganfälle in Folge erlitten hatte.

Kindheit in der Nazizeit, Wochen im Gefängnis und Vertreibung ins Ungewisse

Hans Joachim Helmut Kumrow wurde im Februar 1931 in Hinterpommern geboren, als Zwilling und als jüngster von sechs Söhnen einer Bauernfamilie, die seit vielen Generationen in dem kleinen Dorf Zwilipp, unweit der Stadt Kolberg und der Ostsee, zuhause war. Er erlebte eine unbeschwerte Kindheit, die früh von Arbeit und Verantwortung – zum Beispiel für die Gräber seiner Urgroßeltern – geprägt war. Den zweiten Weltkrieg erlebte er als Schüler einer einklassigen Dorfschule, deren Lehrer ein überzeugter Nazi war. Und er erlebte, dass drei seiner älteren Brüder in den Krieg ziehen mussten – nur einer von Ihnen kehrte unversehrt zurück.

Als Hans Kummrow 14 Jahre alt war, begann wenige Tage nach seiner Notkonfirmation der hässliche Teil seiner Jugend: Zusammen mit seinem Bruder Werner wurde er von den Polen, die – selbst zuvor nach Nordwest-Hinterpommern vertrieben – der Unterstützung eines deutschen Soldaten auf der Flucht bezichtigt und ins Kolberger Polizeigefängnis eingesperrt. Nach Wochen voller Ungewissheit und Angst wurden beide eines morgens überraschend entlassen. Zurück in Zwilipp fanden Sie ihr Zuhause leer vor, nur der Hund Molli streunte noch verloren im Dorf umher. Ihre Eltern waren wenige Tage zuvor mit Waffengewalt aus ihrem Haus gejagt und in die Eisenbahn gen Westen gesetzt worden, niemand wusste jedoch wohin. Zum Glück von Hans und Werner war die Nachbarsfamilie Radmer noch im Dorf, machte sich gerade fertig zum verspäteten Aufbruch und bot beiden an, sich einfach anzuschließen.

Jugend ohne Heimat

Nach tagelanger Fahrt hielt die Bahn voller Vertriebener in Ostholstein, an der Schlei. Auf dem Hof Peters in Winnemark, unweit der Ostsee, fanden die Zwilipper eine erste Unterkunft. Nach Wochen der Ungewissheit kam über das Rote Kreuz ein Kontakt zu einer Tante in Hamburg zustande, die wusste, wo die Eltern und sein Zwillingsbruder Paul abgeblieben waren: Auf der Halbinsel Mönchsgut auf Rügen – kaum 100 Kilometer von der alten Heimat entfernt. Denn ihr Vater Paul glaubte anfangs fest daran, bald nach Hause zurückkehren zu können. Als Hans Kummrow und sein Bruder Werner endlich die Eltern in die Arme schließen konnten, wurden sie mit den Worten empfangen, dass ihr Vater sich außerstande sah, sie zu ernähren. Bruder Werner wurde zu einem Bauern geschickt, Hans Kummrow konnte bei Boddenfischer Besch anfangen. Später bekam Hans Kummrow die Chance, im Gästehaus der Familie Alander als Hotelboy zu arbeiten. Drei Mahlzeiten und ein Bett waren damals der Hauptteil des Lohnes. Später schaffte er noch ein paar Wochen in Diensten der Polizei, im Tiefbau nahe Prora. Und er war aktives Mitglied einer Mönchsguter Volkstanzgruppe, durfte sogar zu einem landesweiten Jugendtreffen der jungen DDR nach Berlin reisen und dort auftreten.

Viel Arbeit in jungen Jahren

Als auf Rügen sein Zwillingsbruder Paul und auch seine Mutter Bertha an Typhus starben, entschlossen sich Hans Kummrow und sein älterer Bruder Werner, sich Arbeit auf Höfen in der Altmark – heute Sachsen-Anhalt – zu suchen. Dort waren sie unter vielen gleichaltrigen, erlebten ein paar Jahre so etwas wie eine späte Jugend. In Sichtweite der deutsch-deutschen Grenze erlebten sie mit, wie diese nach und nach undurchlässiger wurde. Eines Tages sprangen sie über den Grenzgraben, weil ihr älterer Bruder Fritz in Westfalen Fuß gefasst hatte und seine Brüder schnellstmöglich in den Westen holen wollte.

Neue Heimat Westfalen

In Westfalen erlebte Hans Kummrow im Alter von gut 20 Jahren den dritten Teil seiner zerrissenen Jugend: Als Knecht auf dem Hof Frieling in Bockhorst fand er ein warmherziges erstes Zuhause. Und er musste erleben, dass die westfälischen Bauern ihm den Hund entgegenschickten, wenn er die Tochter des Hofes zum Tanz abholen wollte. Viel mehr hat er nicht darüber erzählt, wie es sich anfühlte, ein Flüchtling in der Fremde zu sein. Sicher hat er mehr erlebt und vieles verdrängt.

Ehe-Start im Wirtschaftswunder

In den Fünfziger und Anfang der Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts halfen Hans und Ulla Kummrow noch in Erntezeiten bei den Bauern Frieling und Drewel – ihr Hauptarbeitgeber war aber mittlerweile die Bonbonfabrik Storck in Halle, wo Hans Kummrow als Bonbonkocher nicht selten in Doppelschichten arbeitete. Mit den neuen Kolleginnen und Kollegen – und ihrem Motorrad – erlebte das junge Paar erste Zelturlaube an der Nordsee, während der Opa daheim den Kindern aus der alten Heimat Zwilipp erzählte. Hans und Ulla Kummrow heirateten im Sommer 1958, im Dezember 1958 wurde die Tochter Petra, im Dezember 1961 Sohn Joachim geboren. Mit im Haushalt lebten Hans’ Vater Paul sowie dessen Bruder Albert Kummrow, der als pensionierter Eisenbahner von Bochum an den Teuto gezogen war.

Die neue Heimat mitgebaut

Mitte der Sechziger Jahre kam der nächste Schnitt im Leben von Hans Kummrow, die Familie musste das liebgewonnene Haus auf dem Land verlassen wegen einer Eigenbedarfskündigung. Eine Wohnung, die für die drei Generationen groß genug war, fand sich auch nach langer Suche nicht. Also blieb nur, in einer der damals so vielfach hier in Westfalen entstehenden Flüchtlingssiedlungen fernab der Städte neu zu bauen. Hans Kummrow hatte Angst, sein Vater vermochte ihm nicht den Rücken zu stärken; nur der weitaus optimistischere Onkel Albert machte dem jungen Paar Mut. Gebaut haben sie ein Zweifamilienhaus, denn sie brauchten Mieter, um die monatliche Rate finanzieren zu können.

Bonbonkocher und Landvermesser

So entstand – nicht ganz freiwillig, sondern eher dem damals schon bekannten Wohnungsmangel geschuldet – die neue Heimat der Familie in der Holtfelder Siedlung, in Sichtweise der Burg Ravensberg. Hans Kummrow wechselte beruflich von Storck zum damaligen Kreis Halle (Westf.), wurde Landvermesser. Das war überwiegend schwere körperliche Arbeit, denn als Helfer eines Ingenieurs mussten er und sein Kollege Tausende von Grenzsteinen aus- oder eingraben. Hans Kummrow wurde bis zu seiner Verrentung Anfang der Neunziger Jahre für seine Zuverlässigkeit und Arbeitsfreude geschätzt. Zudem war er immer der Fahrer des Bullis, denn im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen brauchte er den Alkohol nicht.

Liebste Arbeit im Garten

Weil der Lohn eines Arbeiters schon damals keine Luftsprünge erlaubte, hat Hans Kummrow über Jahrzehnte einen zweiten oder dritten Job angenommen. Anfangs als Helfer in einer Bäckerei, wo er viele Jahre jede Nacht von Freitag auf Samstag verbrachte, um Taschengeld für die Woche zu haben. Später – selbst, als er schon Rentner war – pflegte er neben dem eigenen, 1.000 Quadratmeter großen Grundstück noch mehrere Gärten anderer Leute. Klaglos und zuverlässig und bei jedem Wetter. ZUm Uralub fuhr man zu Verwandten – nur einmal sind sie mit Freunden im Wohnmobil am Gardasee gewesen, einmal sind sie sogar nach Mallorca geflogen.

Letzte Jahre geduldig ertragen

Im August 2006 verlor Hans Kummrow nach 48 Jahren Ehe seine Frau Ulla an den Krebs, sie wurde gerade einmal 70 Jahre alt. Zehn Jahre lang hat er sich danach allein versorgt, hat die meiste Freude an seinem Garten, an seinen Kindern und Enkeln gefunden. Die beiden Schlaganfälle im Sommer 2016 löschten sein Kurzzeitgedächtnis aus, nicht aber seine mentale und körperliche Stabilität. Hans Kummrow war über die letzten Jahre ein angenehmer Patient, war bescheiden und dankbar für die Unterstützung. Ab und an ärgerte es ihn, dass sein Gehirn nicht mehr tat, was er wollte, seine Beine seinen Wegen, seine Augen dem Fernseher und seine Ohren den Gesprächen nicht mehr folgen konnten.

Ein Niemand in der Fremde

Hans Kummrow hat die letzten neun Jahrzehnte der jüngeren Geschichte erlebt. Hans Kummrow war ein Vertriebener, ein Flüchtling. Er verlor zwei Brüder an den Krieg, seinen Zwillingsbruder in der Jugend. Er wusste lange nicht, wo der Rest seiner Familie gelandet war. Er war ein Niemand in der Fremde, wo andere seit Generationen zuhause waren. Er war einer, der sich zeitlebens als Arbeiter verdingen musste, weil ihm die Chance einer Berufsausbildung in den Wirren der Nachkriegszeit verwehrt blieb. Er hat die Nazizeit und die junge DDR erlebt, musste als „Weißer Jahrgang“ nicht zum Militär, war überzeugter Demokrat und zuverlässiger Wähler, aber kein Parteigänger. Er hat zusammen mit seiner Frau die Wirtschaftswunderzeit miterlebt und mitgestaltet; gemeinsam haben sie seinem Vater und seinem Onkel eine neue Heimat gegeben und den Kindern wichtige Werte vermittelt und eine gute Ausbildung ermöglicht.

Vorbild für die Nachfahren

Hans Kummrow wird seinen Nachfahren ein Vorbild bleiben, dafür, dass man auch in schweren Zeiten nie den Mut verliert, dass man dort, wo man gerade steht, seine Arbeit gut macht. Und dass man sich an dem erfreut, was man hat, ohne neidisch darauf zu sein, wenn anderen zu gleicher Zeit mehr gelingt. Auch weinte Hans Kummrow nie dem hinterher, was die Familie in Pommern zurücklassen musste. Hans Kummrow war kein Vereinsmeier und kein Kneipengänger, war gegenüber der Familie und seinen Arbeitgebern stets hoch loyal, einer auf den man bauen, einer auf denen man sich unter allen Umständen verlassen konnte. Und er war ein Anpacker, ein weder besonders optimistischer noch besonders pessimistischer Pragmat, der die Dinge so nahm wie sie kamen – einer auf den alle Kinder, Enkel und Urenkel – heute wie morgen stolz sein können.

Ein letztes unbeschwertes Foto aus dem Sommer des Jahres 2016: Hans Kummrow mit seinen Kindern Petra (rechts) und Joachim (links) bei einer Kaffee-Ausfahrt auf einen Babenhausener Bauernhof. Wenige Tage später erlitt Hans Kummrow zwei Gehirnschläge. Fortan fehlte sein Kurzzeitgedächtnis sowie seine Fähigkeit Zeitung zu lesen oder fernzusehen. Dank guter Pflege konnte er noch weitere acht Jahre in seinem Zuhause wohnen bleiben.

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